Barbara Lerner Spectre, Multikulti, Judentum

Dieser Artikel handelt von der äußerst fragwürdigen Aussage einer einflußreichen jüdischen Person: Barbara Lerner Spectre. In einer Reportage des israelischen Senders IBA sagte sie 2010 voraus, dass es einen zunehmenden Antisemitimus in Europa geben werde, weil man den Juden ihre „führende Rolle“ bei der „Umwandlung“ der europäischen Gesellschaften in multikulturelle Gesellschaften übel nehmen werde.

Das ist eine verblüffende Äußerung, denn genau diese führende Rolle wird den Juden teilweise in rechtsextremen/antisemitischen Zirkeln zugeschrieben und zum Vorwurf gemacht. Um es ganz deutlich zu sagen: Diese „führende Rolle“ kenne ich sonst nur als Verschwörungstheorie. Daher ist es zutiefst irritierend für mich, wenn eine jüdische Führungspersönlichkeit genau in dieselbe Kerbe zu schlagen scheint.

In diesem Artikel möchte ich den Fall schildern und einen Versuch zur Einordnung unternehmen.

Was hat Barbara Lerner Spectre gesagt?

Steigen wir direkt ein:

Quelle: The Jewish Community of Sweden, Israel Broadcasting Agency, 2010.
Den Ausschnitt mit deutschen Untertiteln habe ich übernommen von hier: https://www.youtube.com/watch?v=fI5Qhd3R8ik

Der originale Wortlaut als Transkript:

„I think there’s a resurgence of anti-semitism because at this point in time Europe has not yet learned how to be multicultural, and I think we’re gonna be part of the throes of that transformation, which must take place. Europe is not going to be the monolithic societies that they once were in the last century. Jews are going to be at the center of that. It’s a huge transformation for Europe to make. They are now going into a multicultural mode, and Jews will be resented because of our leading role. But without that leading role, and without that transformation, Europe will not survive.“

Deutsche Übersetzung:

„Ich denke, es gibt ein Wiederemporkommen des Antisemitismus, weil Europa bis jetzt noch nicht gelernt hat, multikulturell zu sein, und ich denke, wir werden teilhaben an den Geburtswehen/Schmerzen dieser Transformation, die stattfinden muß. Europa wird nicht mehr in der Form der monolithischen Gesellschaften bestehen bleiben, wie sie es einmal waren im letzten Jahrhundert. Juden werden im Zentrum dieser Entwicklung stehen. Es ist eine ungeheure Transformation für Europa. Sie gehen jetzt in den multikulturellen Zustand über, und man wird es den Juden übelnehmen wegen unserer führenden Rolle dabei. Aber ohne diese führende Rolle und ohne diese Transformation wird Europa nicht überleben.“

Wie ist der Kontext? / Wo hat sie es gesagt?

Die Quelle für den Ausschnitt ist eine Reportage des israelischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens, damals Israel Broadcasting Agency genannt (IBA). Soviel vorweg: Ich kann versichern, dass der Ausschnitt die Äußerungen von Barabara Lerner Spectre genau so wiedergibt, wie sie in der Reportage vorkommen. Da wurde also nichts manipulativ geschnitten oder weggelassen.

Die Reportage stammt aus dem Jahr 2010 und trägt den Titel „Jewish Community of Sweden“ (deutsch: Die jüdische Gemeinde in Schweden). Die Reportage ist knapp 24 Minuten lang und kann in Gänze hier angesehen werden: https://vimeo.com/14907669. Der Ausschnitt mit Barbara Lerner Spectre beginnt eigentlich bei 20:10. Komischerweise wurde die Szene herausgeschnitten. Die ungeschnittene Version kann man mit einem leicht abgewandelten Link abspielen lassen: https://player.vimeo.com/video/14907669 (man beachte die identische Video-ID im Link). Meine Vermutung: Das Video wurde ungeschnitten auf Vimeo hochgeladen und irgendwann später im Video-Editor von Vimeo bearbeitet, um den Ausschnitt mit Barbara Lerner Spectre zu überspringen. Mit dem zweiten Link gelangt man zur unveränderten Rohfassung des Videos. So etwas habe ich jedenfalls noch nie erlebt, weder bei Vimeo noch bei sonst irgendeiner Plattform. Ich habe dieses Phänomen zur Sicherheit auch als Video dokumentiert:

Fazit: Der israelische Rundfunk dürfte als seriöse Quelle akzeptiert sein. Vor allem wird man diesem Sender nicht zum Vorwurf machen können, er würde antisemitische Verschwörungstheorien verbreiten.

Wer ist Barbara Lerner Spectre?

Barbara Lerner Spectre ist vor allem bekannt als Gründerin und Direktorin von Paideia – The European Institute for Jewish Studies in Sweden. Zu deutsch: Europäisches Institut für Jüdische Studien in Schweden. Das Institut wurde wesentlich vom schwedischen Staat finanziert.

Sie ist Trägerin diverser Auszeichnungen:

  • 1991 – Award for Contribution to Jewish Education des Seminary of Judaic Studies
  • 1998 – The First Schechter Institute of Jewish Studies Award for Jewish Education
  • 2007 – Max-Fisher-Preis for Jewish Education in the Diaspora
  • 2008 – ICRF − Women in Action Award
  • 2016 – Abraham Geiger Medal
  • 2018 – King’s Medal (Auszeichnung des schwedischen Königs)

Ein Foto von der Verleihung der King’s Medal kann man hier bestaunen: https://ejewishphilanthropy.com/educator-barbara-spectre-receives-kings-medal/ (Archiv-Link: https://archive.fo/UNSBe). Der schwedische König persönlich überreichte ihr die Auszeichnung.

Bei der Abraham Geiger Medal bin ich überfragt. Diese Information habe ich von der Webseite des Paideia-Instituts. Die Verleihung der Medaille wird auf zwei Seiten erwähnt:

Auf der Webseite des Abraham Geiger Kollegs wird Spectre jedoch nicht als Preisträgerin erwähnt (Archiv-Link: https://archive.is/WSbdq). Die Preisträgerin im Jahr 2015 war übrigens keine geringere als Dr. Angela Merkel.

Auf der Seite des Kollegs scheinen generell nur die Preisverleihungen in ungeraden Jahren aufgeführt zu sein. Die Preisverleihungen in geraden Jahren scheinen ausschließlich an Juden zu gehen – vielleicht liegt es daran. Eine Bestätigung der Verleihung an Frau Spectre konnte ich dann letztlich doch noch, aber nur mit Mühe finden, und zwar im Annual Report 2016 der EUROPEAN UNION FOR PROGRESSIVE JUDAISM, von der ich auch noch nie etwas gehört habe. In dem Report steht auf Seite 21:

„In 2016, the Abraham Geiger Medal was awarded to two laureates: to Rabbi Dr. Deborah Kahn-Harris, Principal of the Leo Baeck College, for her exceptional contribution to rabbinical training, and to Barbara Lerner Spectre, Founding Director of Paideia (The European Institute for Jewish Studies in Sweden).“

Fakt ist: Diese Frau ist eine Person, der die höchsten Auszeichnungen zuteil geworden sind, unter anderem vom schwedischen König – und das auch noch lange nach ihrer verstörenden Äußerung in Bezug auf die multikulturelle Transformation Europas.

Sie ist übrigens mit einem Rabbi verheiratet: Ihr Ehemann heißt Philip Spectre. Von ca. 1999-2006 war er der Großrabbi von Stockholm (Archiv-Link: https://archive.fo/7WuUU).

Was ist Paideia?

Paideia – The European Institute for Jewish Studies in Sweden, ist meiner Recherche zufolge ein wichtiger Bestandteil des Lebenswerks von Frau Spectre. Das Institut schreibt über sich selbst:

„Paideia is a European academic Institute founded in 2000 through grants from the Swedish government and the Marianne and Marcus Wallenberg Foundation as an academic and applied institute of excellence, with the mandate to nurture the renewal of European Jewish culture, to support cross-cultural dialogue, and to promote a positive paradigm of a minority culture within European societies.“

Quelle: https://paideia-eu.org/about/ (Archiv-Link: https://archive.fo/9BJxu)

Deutsche Übersetzung:

„Paideia ist ein europäisches akademisches Institut. Es wurde 2000 gegründet mit Hilfe von Zuwendungen der schwedischen Regierung sowie der Marianne und Marcus Wallenberg Stiftung als Institut der Exzellenz in Wissenschaft und Anwendung, mit dem Auftrag der Erneuerung jüdischer Kultur in Europa, der Unterstützung interkulturellen Dialogs und der Förderung eines positiven Modells einer Minderheitenkultur in europäischen Gesellschaften.“

Über seine Mission schreibt das Institut selbst:

„Paideia’s mission is to actively promote the renewal and flourishing of European Jewish cultural and intellectual life in the wake of the Holocaust and the trauma of communism, to support cultural diversity and to disseminate humanistic values. Dedicated to the revival of Jewish culture in Europe, Paideia educates leaders for Europe – academicians, artists and community activists – towards fluency in the Jewish textual sources that have served as the wellsprings of Jewish civilization.“

Quelle: wie oben

Deutsche Übersetzung:

„Paideias Mission ist die aktive Förderung der Erneuerung und des Wohlergehens europäischer jüdischer Kultur und intellektuellen Lebens im Nachgang des Holocausts und des Traumas des Kommunismus, die Förderung kultureller Diversität und die Auseinandersetzung mit humanistischen Werten. Gewidmet der Wiederbelebung jüdischer Kultur in Europa, bildet Paideia Führungspersönlichkeiten/Anführer für Europa aus – Akademiker, Künstler und Aktivisten – damit diese vertraut sind mit den jüdischen Schriften als Quelle der jüdischen Zivilisation.“

Es geht also um die Förderung jüdischen Lebens bzw. jüdischer Kultur in Europa und die Förderung kultureller Diversität im Allgemeinen (sprich: Multikulti).

Wie war die Reaktion auf ihre Äußerung?

Nun, ich sage es mal so: Die Reaktion ist, dass dieser Ausschnitt seither im Internet die Runde macht. Diese Äußerung von Frau Spectre wird dabei von manchen als Beleg dafür angeführt, dass „die Juden“ maßgeblich hinter „dem großen Austausch“ stecken. Unter dem „großen Austausch“ wird eine mehr oder weniger gesteuerte Veränderung der ethnischen und kulturellen Zusammensetzung der angestammten europäischen Bevölkerungen verstanden, manchmal auch als „Umvolkung“ bezeichnet. Es genügt schon, dass man den Namen von Barbara Lerner Spectre in Google eingibt, und man findet etliche Video-Uploads des Ausschnitts, oft mit einem generell antijüdischen Framing. Es ist so ziemlich das erste, was man über Frau Spectre findet, wenn man eine Suchmaschine bemüht. Und diese Videos haben viele Aufrufe.

Im Internet findet man den Ausschnitt zum Beispiel mit Zuschreibungen wie „Barbara Lerner Spectre calls for destruction of Christian European ethnic societies“. Auf deutsch übersetzt heißt das so viel wie: „Barbara Lerner Spectre ruft auf zur Zerstörung der Christlich-Europäischen ethnischen Gesellschaften“.

Aber: Außerhalb des israelischen Rundfunks, wo der Ausschnitt ursprünglich ausgestrahlt wurde, konnte ich kurioserweise keinerlei Pressereaktionen dazu finden. Keine Debatte, keine Rückfragen, kein Skandal, keine Empörung – der Blätterwald ist bemerkenswert still in dieser Angelegenheit. Einzig bei der konservativen Jungen Freiheit habe ich im Archiv eine Erwähnung dieser Causa gefunden. Dazu gleich mehr…

Das Zitat wird auf Wikipedia zensiert

Zeitweise wurde ihre problematische Äußerung in ihrem Wikipedia-Artikel dokumentiert. Ja, richtig gelesen, diese Frau ist wichtig genug, um einen eigenen Artikel auf Wikipedia zu haben. Kein Wunder, denn ich habe ja gezeigt, dass sie eine zentrale und hoch angesehene Persönlichkeit des Judentums in Europa ist.

Doch inzwischen wurde das Zitat – zum Erstaunen und gegen den Widerstand vieler Benutzer – entfernt, sowohl in der deutschen als auch der englischen Wikipedia. Es sei nicht relevant, behaupten die Wikipedia-Admins. Das ist eigenartig, denn das Video mit ihr findet man allerorten im Netz, wenn man ihren Namen eingibt.

Lesenswert sind auch die Diskussionen, die in Folge dieser Zensur entbrannten:

Ich habe den Eindruck gewonnen, dass man diese Äußerungen bei Wikipedia unter den Teppich kehren möchte.

Keine Beachtung in der Presse, keine Stellungnahmen jüdischer Organisationen

In der Presse habe ich zu der Causa – wie gesagt – praktisch überhaupt nichts gefunden. Wenn man z.B. „Barbara Lerner Spectre“ und zeit.de, spiegel.de oder focus.de in die Google-Suchmaschine eingibt, dann erhält man keinen Treffer auf einer dieser Seiten.

Nur bei der Jungen Freiheit habe ich einen kurzen Bericht gefunden: Das Phantom – Barbara Lerner Spectre konzipiert Europas „große Umwandlung“ per Massenzuwanderung, ein Artikel von Stefan Michels, JF Ausgabe 41/15 vom 2. Oktober 2015. Im JF-Archiv ist der Artikel noch nachzulesen: https://www.jf-archiv.de/archiv15/201541100211.htm (Archiv-Link: https://archive.fo/QHD3c)

Insbesondere konnte ich aber keine Stellungnahme irgendwelcher jüdischer Organisationen finden, keinerlei Distanzierung, keine Erklärung, kein Dementi, ebenso keine Zustimmung oder Solidarisierung – auch nichts von Barbara Lerner Spectre selbst, d.h. sogar sie selbst hat sich dazu scheinbar nie wieder geäußert. Sollte ich da etwas übersehen haben, so bitte ich dringend um einen Hinweis, dann trage ich das sofort nach.

Mein Schriftverkehr zur Causa Barbara Lerner Spectre

Zu guter Letzt habe ich mich selbst um eine Kontaktaufnahme bemüht. Ich habe das Paideia Institut von Frau Spectre in Schweden und den Zentralrat der Juden in Deutschland angefragt.

Im Folgenden meine Mail an den Zentralrat der Juden:


Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin auf folgendes Video gestoßen:
https://www.youtube.com/watch?v=fI5Qhd3R8ik

Darin tätigt Barbara Lerner Spectre die Aussage, Juden wären führend an der Transformation Europas in eine multikulturelle Gesellschaft beteiligt. Dies würde man den Juden übelnehmen, aber die Transformation sei nötig, damit Europa überleben könne. Die Transformation sei aber auch sehr schmerzhaft.

Ich wäre sehr erfreut, wenn Sie mir bei der Einordnung von Frau Spectres Äußerungen behilflich sein könnten.

Im Internet findet man diesen Video-Ausschnitt vielfach mit einem klar antisemitischen Framing. Der Ausschnitt wird seit Jahren aktiv dafür instrumentalisiert, um gegen Juden zu hetzen. Die Videos verbreiten sich schnell; sie haben zigtausende Aufrufe. In dem Kontext dieses Ausschnitts wird häufig behauptet, die Juden würden die europäischen Völker „umvolken“ wollen o.ä. Die Aussage von Frau Spectre muss als vermeintlicher „Beweis“ dafür herhalten. Leider kann man die Aussage von Frau Spectre in meinen Augen tatsächlich leicht missverstehen und dafür missbrauchen, um in dieser Weise gegen Juden zu hetzen.

Mich würde in dem Zusammenhang interessieren, wie die jüdische Gemeinschaft insgesamt dazu steht. Ist die Äußerung von Spectre eine Minderheitsposition, eine irre Einzelmeinung, oder wird das in der jüdischen Gemeinde häufiger so gesehen? Als Zentralrat der Juden können Sie das vermutlich ganz gut einschätzen. Und:

  • Wie ist Ihre eigene Position dazu? Sehen Sie sich als Juden wesentlich an der Transformation Europas zu einer multikulturellen Gesellschaft beteiligt?
  • Sind Sie der Meinung, dass Europa nur so überleben kann?
  • Sind Sie auch der Meinung, dass man Ihnen als Juden Ihre führende Rolle bei dieser Transformation übel nehmen wird? Das ist für mich nämlich ein großer Widerspruch. Wenn Europa nur als multikulturelle Gesellschaft überleben kann und Juden sozuagen dabei mithelfen, das Überleben Europas zu sichern, wieso sollte man ihnen das übel nehmen?
  • Inwiefern ist die Transformation schmerzhaft? Was ist damit gemeint? Wem tut die Transformation weh und warum?

Mit freundlichen Grüßen,
… (Pseudonym)


Die Mail an das Paideia Institut hatte denselben Tenor.

Auf eine Antwort warte ich seit Mitte Februar 2021 vergeblich. Weder das Paideia Institut noch der Zentralrat der Juden haben reagiert.

Zusammenfassung

Wir haben mit Barbara Lerner Spectre eine zweifellos wichtige und einflußreiche jüdische Führungsperson, die viele Preise und höchste Auszeichnungen erhalten hat – insbesondere vom schwedischen König -, und die 2010 in einer Reportage des israelischen öffentlich-rechtlichen (!) Fernsehens widerspruchslos eine überaus fragwürdige Äußerung getätigt hat, in der sie den Juden eine führende Rolle bei der Umwandlung Europas in eine multikulturelle Gesellschaft attestiert hat. Als wäre das nicht schlimm genug, behauptet sie sogar, dass man den Juden ihre führende Rolle dabei übelnehmen würde und dies zu neuem Antisemitismus führen werde. Sie spricht von starken Schmerzen, die mit dieser Transformation einhergehen (englisch throes bedeutet Geburtswehen oder starke Schmerzen). Damit wird ja indirekt eingestanden, dass diese Multikulturalisierung nicht nur auf Gegenliebe bei den so beglückten europäischen Völkern stößt bzw. dass sie durchaus äußerst beschwerlich (schmerzhaft) sein kann.

Nun wird dieser Ausschnitt auch noch aktiv im Internet sehr erfolgreich bzw. publikumswirksam ausgeschlachtet, um Stimmung gegen „die Juden“ zu machen. Man findet diesen Ausschnitt zahlreich im Internet, sehr oft mit einem klar antijüdischen Framing und mit hohen Aufrufzahlen.

Aber: Die Presse schweigt, jüdische Organisationen schweigen, die Faktenfinder schweigen, in der Wikipedia wird die Äußerung unter den Teppich gekehrt und auf Vimeo wird der Ausschnitt heimlich herausgeschnitten. Und natürlich schweigt Barbara Lerner Spectre auch selbst. Es wird also noch nicht einmal der Versuch unternommen, irgendeine Erklärung nachzuschieben, es irgendwie zu relativieren.

An der Stelle wird mir bewusst, wie treffend der Name der Frau ist: Spectre. Das heißt übersetzt: Phantom. Die Frau und die gesamte Causa ist mir ein einziges Rätsel.

Meine Meinung

Ich halte die Äußerungen von Barbara Lerner Spectre für untragbar, absolut inakzeptabel.

Ja, Europa leidet an einem Geburtenmangel, an Kinderarmut. Aber damit Europa überlebt, ist es in meinen Augen erforderlich, eine familienfreundliche Politik zu machen, damit sich die Menschen wieder für Nachwuchs entscheiden. Eine Kultur kann nur überleben, wenn die Träger der Kultur selbst ausreichend Nachwuchs bekommen. Kultur wird wesentlich in Familien weitergegeben, nicht in Integrationskursen. Alles andere ist Träumerei.

Kompensatorische Zuwanderung bzw. Multikulti als Lösung für das demographische Problem halte ich daher für einen offensichtlichen und fatalen Irrweg. Die demographische Schieflage ist so gewaltig, dass wir viel zu viele Migranten bräuchten, um die Bevölkerung und unseren Lebensstandard aufrechtzuerhalten, jedenfalls weitaus mehr, als wir integrieren bzw. kulturell assimilieren können. Siehe dazu z.B. die Rechnung des Ökonomen Prof. Hans-Werner Sinn.

Multikulti in der bisherigen Größenordnung führt bereits zu einem Flickenteppich, bei dem die zugewanderten Gruppen tendenziell untereinander bleiben und sich von dem Rest der Gesellschaft abschotten. Solche Parallelgesellschaften haben sich schon zahlreich gebildet und die kann man auch nicht mehr so schnell auflösen bzw. integrieren.

Multikulti in dem heutigen Übermaß führt nicht zum Überleben Europas, sondern beschleunigt den Niedergang noch. Es ist keine Heilung, nicht einmal ein Medikament, sondern eine zusätzliche Belastung. Es verschlimmert die demographische Schieflage in kultureller Hinsicht. Zu dem eklatanten Geburtenmangel der angestammten europäischen Völker kommt nämlich die massenhafte Ansiedlung kulturfremder und vielfach nicht integrationswilliger Menschen hinzu. Man stirbt nicht nur aus, sondern wird dabei auch noch fremd im eigenen Land bzw. zunehmend mit einem Mischmasch an fremden Kulturen ersetzt.

Man könnte Multikulti in Maßen akzeptieren zwecks kulturellem Austausch und kultureller Bereicherung. Man könnte Multikulti in Maßen akzeptieren zwecks Öffnung für echte Fachkräfte. In einigen Fällen bin ich persönlich z.B. durchaus gewillt, kulturfremde Menschen zu akzeptieren, wenn sie einen wertvollen Beitrag für unser Land leisten. Und wenn Menschen aus dem Ausland als Saison- und Gastarbeiter herkommen, ist das für mich auch okay. Es ist auch gut und schön, wenn Ausländer in unserem Land ein Restaurant eröffnen und uns damit tatsächlich bereichern.

Die dauerhafte und massenhafte Ansiedlung und Einbürgerung von kulturfremden Menschen lehne ich jedoch ab. Die grundsätzlich positive Qualität von Multikulti schlägt für mich ins Gegenteil um, wenn die Quantität überhand nimmt. Statt kultureller Bereicherung empfinde ich dann Überfremdung, Heimatverlust, Bedrohung. Ich fühle mich heute schon oft fremd im eigenen Land. Man sieht ja, wie es in den Großstädten aussieht. An vielen Schulen gibt es kaum noch oder gar keine Deutsche. Den Deutschen, die dort zur unbedeutenden Minderheit werden, bleibt häufig nur noch die Flucht, weil die Zustände unerträglich werden. Eine Integration der Ausländer ist dann auch nicht mehr möglich. Wo die deutsche Gesellschaft verschwindet, kann man auch niemanden mehr in sie integrieren. Das ist selbsterklärend. Es gibt Studien, die zeigen, dass ab einem Ausländeranteil von ungefähr der Hälfte die Leistung in den Schulen drastisch sinkt.

Multikulti im Übermaß führt schließlich auch zu einer Vielzahl von neuen Konfliktherden und Verteilungskonflikten. Ein simples Beispiel ist der Streit in Kindergärten, wenn es darum geht, ob Schweinefleisch serviert werden soll oder nicht. Oder der Streit, ob man das Weihnachtsfest als Lichterfest bezeichnet. Oder das Ringen um Badezeiten in Schwimmbädern nur für Frauen. Deutsche und verschiedene nicht-deutsche Wertevorstellungen prallen aufeinander. Ein weiteres Beispiel ist der Umstand, dass Ausländer überproportional häufig arbeitslos sind und Sozialhilfe beziehen. Dieses Ungleichgewicht schürt Unzufriedenheit bei den Einheimischen. Diese Konflikte werden immer mehr zunehmen und die Minderheiten, die zahlenmäßig zunehmen, werden mit immer mehr Nachdruck einfordern, dass man auf sie Rücksicht nimmt. Es entstehen überall Reibungen. Dass unsere Gesellschaft bereits „irre geworden“ ist und an Multikulti zu zerbrechen droht, kann man auch wunderbar an der wahnwitzigen Rassismus-Debatte sehen, Stichwort George Floyd, Black Lives Matter, Diskriminierung, Mikroaggressionen, politisch korrekte Sprache, „eklige weiße Mehrheitsgesellschaft“ etc.

Wie soll dieser Multikulti-Quatsch also bitte unser Überleben sichern, das Überleben Europas, das Überleben der gewachsenen einheimischen europäischen Völker und Kulturen? Für mich ist das eher eine diabolische Verdrehung. Noch mehr Zuwanderer beschleunigen und besiegeln lediglich das Ende der einheimischen europäischen Völker/Kulturen.

Ob absichtlich oder nicht, aber wer so agiert, schadet den europäischen Völkern und Ländern, anstatt ihnen zu helfen.

Wenn ich dann noch diesen Müll höre, dass die Juden dabei angeblich eine führende Rolle einnehmen und man ihnen das übel nehmen wird, dann könnte ich kotzen. Wieso sollte man es ihnen übel nehmen?! Und wenn die Frau weiß, dass man es ihnen übel nehmen wird, wieso befürwortet sie es dann offenkundig trotzdem?! Warum sollen „die Juden“ ihrer Ansicht nach die Multikulturalisierung Europas vorantreiben, wenn es ihnen übel genommen wird, also wenn es – wie man soll das sonst auffassen – gar nicht gewünscht wird? Ist die Frau Spectre etwa der Meinung, dass die europäischen Völker im Zweifel auch gegen ihren Willen zu ihrem multikulturellen „Glück“ gezwungen werden müssen, damit sie überleben? Und was genau meint die Frau mit „Schmerzen“? Wem tut die Transformation weh und wieso?

Wie würde man so eine Therapie in der Medizin einstufen? Eine Therapie, in die der Patient – der bei Bewusstsein ist – gar nicht einwilligt. Wie würde man das nennen, wenn eine Therapie gegen den Willen des Patienten durchgeführt wird? Oder wenigstens: Ohne den Patienten zu fragen? Und wenn die Therapie auch noch mit Schmerzen verbunden ist.

Da bleibt mir die Spucke weg. Nichts von alledem ist für mich auch nur im Entferntesten moralisch akzeptabel. Die Sache stinkt zum Himmel. Zusammen mit dem Schweigen und der Nichtbeachtung in unseren Medien – trotz der Virulenz des Ausschnitts in den sozialen Medien – und der Zensur ergibt sich ein erschreckendes Gesamtbild.

Durch diese untragbare Äußerung und den heimlichtuerischen Umgang damit wird meines Erachtens ohne jede Not antisemitischen Verschwörungstheorien Vorschub geleistet. Wieso lässt man das laufen? Wieso distanzieren sich jüdische Organisationen nicht von dieser Frau bzw. ihrer Äußerung? Sie könnten wenigstens dafür sorgen, dass Frau Spectre genauer erläutert, wie sie das alles gemeint hat.

Keine Pauschalisierung…

Eines ist mir ganz wichtig: Man darf diese Äußerung nicht überbewerten. Nur, weil eine (!) Jüdin sowas über „die Juden“ sagt, ist es noch nicht die Wahrheit. Barbara Lerner Spectre ist nicht allwissend und spricht nicht für alle Juden, ebensowenig wie Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier oder Heiko Maaß für alle Deutschen sprechen – obschon diese immerhin die höchsten Ämter in unserem Staat bekleiden.

Es mag sein, dass Barbara Lerner Spectre sich in einem jüdisch geprägten Milieu bewegt, in dem man sich sehr stark für Multikulti in Europa einsetzt. Es mag sogar sein, dass ihre Ansicht zur Transformation Europas in diesem Milieu vorherrschend ist. Das darf man jedoch keinesfalls auf alle Juden übertragen.

…sondern zielgerichtete Kritik

Kritik an Barbara Lerner Spectre hingegen ist nicht nur in Ordnung, sondern sogar angebracht und überfällig. Es kann doch nicht sein, dass dieser Ausschnitt im Internet seit 2010 massiv verbreitet wird, oft mit klar antijüdischer Schlagseite – und sonst herrscht nur Schweigen im Walde und man schaut diesem Treiben tatenlos zu. Wieso revidiert die ihre Aussage nicht?! Wieso erklärt sie nicht besser, wie sie das meinte?! Wieso distanziert sich niemand von ihr?! Ich kapier’s nicht. Wieso schweigen die jüdischen Verbände?

Es ist ja auch nicht so, als wäre Frau Spectre nur „irgendeine“ jüdische Person. Nein, sie ist mit wichtigen und angesehenen Preisen ausgezeichnet worden. Das habe ich ausführlich nachgewiesen. Sie hat ihre fragwürdige Äußerung auch nicht im Suff getätigt, sondern in einer Reportage des israelischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Gerade deshalb birgt der Ausschnitt so viel (antisemitische) Sprengkraft, weil eine seit langem kursierende antisemitische Verschwörungstheorie scheinbar von hoher und seriöser Stelle bestätigt wird.

Fazit

Frau Spectre ist der Welt eine Erklärung schuldig. Eine Gelegenheit, sich zu äußern, habe ich ihr gegeben. Auch der Zentralrat der Juden hatte die Gelegenheit, eine Stellungnahme abzugeben.

Dann bleibt mir nur noch ein letzter Hinweis: Der „große Austausch“ bzw. die „Umvolkung“ sind haltlose rechtsextreme Verschwörungstheorien ohne jede faktische Grundlage.

Weinender Clown
Ein Insasse der Clownworld.

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Ein Gedanke zu „Barbara Lerner Spectre, Multikulti, Judentum

  1. Erst mal vielen Dank für die sorgfältige Recherche. Sie stellen die Frage:

    „Wieso distanzieren sich jüdische Organisationen nicht von dieser Frau bzw. ihrer Äußerung?“

    Weil diese Frau den Zeitgeist transportiert. Sie müssten sich dazu mit den bestimmenden politischen Kräften im Linksstaat Deutschland anlegen. Also genau den Leuten, die aus ihrem Deutschlandhass heraus und aus ihrem Hass auf die eigene Kultur die Umvolkung, die auch ich so nenne, betreiben.

    Das unterlassen sie tunlichst und versuchen, die Sache auszusitzen, um nicht selbst ins Schußfeld zu geraten. Wie könnte man einer Jüdin, die dem kulturzerstörerischen Zeitgeist huldigt, in den Arm fallen, ohne nicht sofort selbst als reaktionärer Rechtsextremist abgestempelt zu werden? Es ist „Kopf in den Sand“, mehr nicht. Eigentlich fürchterlich.

    Ich würde Herrn Dr. Rafael Korenzecher, den Herausgeber der „Jüdischen Rundschau“ auf die Causa hinweisen. Der hat ganz bestimmt dazu etwas zu sagen. Denn der teilt dieses Duckmäusertum nicht. Er hält schon seit einiger Zeit einer linken Diffamierungskampagne stand.

    Von mir dazu der Lesetipp: sämtliche Editorals von Dr. Korenzecher. Zum Beispiel hier:

    https://juedischerundschau.de/article.2021-11.kolumne-des-herausgebers-dr-r-korenzecher.html

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